5. Internationaler Nachwuchsworkshop zur Hansegeschichte: Nicht zu unterschätzen - Neue Überlegungen zu "kleinen" Städten in der Hanse

5. Internationaler Nachwuchsworkshop zur Hansegeschichte: Nicht zu unterschätzen - Neue Überlegungen zu "kleinen" Städten in der Hanse

Organisatoren
Christian Ashauer, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg; Franziska Evers, Europäisches Hansemuseum, Lübeck; Bart Holterman, Deutsches Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven; Jan Siegemund, Technische Universität Dresden
Ort
Stendal
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.05.2018 - 21.05.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Christian Ashauer, Professur Mittelalterliche Geschichte, Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg

In der Tradition der seit 2010 im zweijährigen Rhythmus stattfindenden Nachwuchsveranstaltung im Vorfeld der Pfingsttagung des Hansischen Geschichtsvereins fand der bereits fünfte internationale Workshop zur Hansegeschichte statt. Insgesamt haben in diesem Jahr 19 Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus der Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie der Archäologie teilgenommen. Sie haben dabei aus Frankreich, England, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Estland, Polen und Deutschland den Weg nach Stendal gefunden und damit auch die Hanseforschung in ihrer internationalen Dimension repräsentiert.

In diesem Jahr galt es, den Blick von den etablierten und bereits vielfach untersuchten (Hanse-)Städten wie Lübeck, Hamburg, Köln oder Danzig abzuwenden und sich die bisher weniger beachteten Akteure anzuschauen, die im Schatten dieser Großen agierten, vielfach in ihren politischen oder wirtschaftlichen Möglichkeiten eingeschränkt waren und daher im Vergleich als ‚klein‘ zu bewerten sind. Schon aus dieser Überlegung heraus ergaben sich geradezu automatisch Fragestellungen und ein Themenfeld, welches bisher eher fragmentarisch denn umfassend behandelt wurde.

Die Bezeichnung als ‚kleine Stadt in der Hanse‘ bezieht sich dabei nicht auf räumliche Ausdehnung oder Einwohnerzahl, sondern ist vielmehr ein Quellenbegriff des 15. Jahrhunderts. Er wurde seit 1430 für diejenigen Städte verwendet, die sich auf hansischen Tagfahrten lediglich vertreten ließen – gleichzeitig jedoch hansische Privilegien nutzten. Angelehnt an diese Definition galt es, die Einbindung ‚kleiner‘ Städte in das hansische Wirtschaftsnetz zu untersuchen. Abseits der rein wirtschaftlichen Funktionen rückten vor allem Kommunikations- und Informationsaspekte in den Blick. Diese wurden an drei Beispielen diskutiert: ‚Kleine Städte‘ in Westfalen und Pommern für das 15. Jahrhundert, sowie Bocholt als Fallbeispiel für das 16. Jahrhundert.

Der erste Tag des Workshops war für die kurzen Vorstellungen der eigenen Forschungsprojekte durch die TeilnehmerInnen des Workshops reserviert. Die Reihe der Vorträge ergab einen guten Überblick über die aktuellen Forschungsinteressen und Fragestellungen in der Hanseforschung. Hierbei zeichneten sich einige Entwicklungen ab, die das klassische Verständnis der Hanse erweitern und von neuen Impulsen versehen können. Erstens war der Einfluss der Archäologie merkbar, die in den letzten Jahren eine bedeutende Rolle in der Hanseforschung eingenommen hat. Erwähnenswert ist hier das Promotionsprojekt von LUISA RADOHS (Aarhus), die versucht, die Rolle städtischer Führungsgruppen in hansischen und dänischen Städten im Hochmittelalter anhand archäologischer Quellen zu klären. Zudem stellte PRIIT LÄTTI (Tallin) die Bemühungen um die Konservierung und Präsentation eines kürzlich gefundenen, hansezeitlichen Schiffwracks in Tallinn aus musealer Perspektive vor.

Zweitens ist ein erhöhtes Interesse für das 16. und 17. Jahrhundert offensichtlich, eine Zeit die in der bisherigen Forschung wenig Aufmerksamkeit erregte, da sich die Hanse in dieser Zeit langsam auflöste. So hat JULIANE MÜLLER (Rostock) sich in ihrem Dissertationsprojekt das Ziel gesetzt, die Struktur der späten Hanse und ihre Rolle in der zeitgenössischen Politik, namentlich vor dem Hintergrund des dreißigjährigen Krieges, genauer zu erforschen. Auch ALEX COLLINS (Cambridge) hat dieser Periode seine Aufmerksamkeit gewidmet und richtet sich in seinen Untersuchungen auf Prozesse der Entscheidungsfindung in der hansischen Spätzeit ab der Mitte des 16. Jahrhunderts.

Die Beiträge von Collins und Lätti waren außerdem repräsentativ für das bedeutende internationale Interesse an der Hanseforschung. Auch die Vorträge der Dissertationsprojekte von MAARTJE A.B. (Nijmegen) über die Kommunikation zwischen Hansestädten, PIOTR KOŁODZIEJCZAK (Toruń) über religiöse Stiftungen im mittelalterlichen Schweden in Bezug auf die hansischen Städte in der Region und TOBIAS BOESTAD (Paris / Stockholm) über die Rechtslage fremder Kaufleute in den mittelalterlichen Ostseestädten, zeigten die Entwicklung neuer Forschungsfragen mit Bezug auf der Hansegeschichte aus internationaler Perspektive, sowohl thematisch als geographisch.

Der zweite Tag des Workshops war dem Thema „Kleine Städte in der Hanse“ gewidmet und begann mit einem Impulsvortrag von CARSTEN JAHNKE (Kopenhagen), der zunächst auf die Quellenproblematik der sogenannten Hanserezesse einging. Diese Ansammlung von verschiedenen Quellen zur Hansegeschichte bildet selbst nur eine Auswahl, die im 19. Jahrhundert getroffen wurde und deren Kriterien die Miteinbeziehung ‚kleiner Städte‘ von vornherein ausschloss. Grundlage der Quellenauswahl war ein Hanse-Bild, welches sich hauptsächlich auf die Seestädte stützte und von einer klar hierarchisch definierten Vorstellung der Hanse ausging. Hieraus wurde so eine Zugehörigkeit von Städten zur Hanse allein aus der Beschickung der sogenannten Hansetage im wendischen Raum definiert.

Jahnke zeigte in seinem Vortrag jedoch, dass im Gegensatz zur älteren Auffassung die ‚kleineren‘ Städte durchaus in die Verhandlungen miteinbezogen wurden. Daraus entwickelte er die Theorie von verschiedenen Funktionen einer Stadt im Raum (Portalstadt, Regionalstadt, Kleinstadt). Für die angeschnittene Fragestellung der großen und kleinen Städte in der Hanse bedeutet dies, dass Portalstädte durchgehend aktiv am internationalen und überregionalen Handel beteiligt und Regionalstädte zu einem größeren Teil im überregionalen Handel engagiert waren, wohingegen Kleinstädte eher regionale Bedeutung besaßen. Alle Städte waren jedoch in einem flexiblen Netzwerk miteinander verbunden und die Stellung einer Stadt im Netzwerk war, je nach Situation und Sichtweise, durchaus veränderlich.

Mit diesen Thesen im Hinterkopf teilten sich die TeilnehmerInnen in drei Gruppen auf, wobei jede Gruppe das Thema ‚kleine Städte‘ anhand publizierter Primärquellen und Sekundärliteratur für ein bestimmtes Gebiet (Westfalen, Pommern) oder eine bestimmte Stadt (Bocholt) genauer betrachtete.

1. Kleine Städte in Westfalen und die Hanse

Einen großen, wenn nicht vielleicht den größten Teil von Hansestädten stellten die westfälischen Städte dar. Als besonderes Merkmal dieses Raumes zwischen Rhein und Weser werden vielfach die bereits seit dem 13. Jahrhundert eingegangenen Städtebunde gesehen, die die Kooperation zwischen den einzelnen Städten sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht bestärkten. Für den Raum Westfalen wurde die hansische Gemeinschaft seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis in das 16. Jahrhundert durch die ‚alten‘ Vorstädte Dortmund, Soest, Münster und Osnabrück dominiert. Später war es dann Köln, welches die Führungsrolle nicht nur im Rheinland, sondern auch für den westfälischen Raum beanspruchte. Für diese Region lassen sich in erster Linie die folgenden (regelmäßigen) Teilnehmer der Tagfahrten identifizieren: Soest, Dortmund, Minden, Paderborn, Lemgo und Herford. Den ersten beiden kam dabei eine Sonderrolle als zwischenzeitlich führende Städte dieses ‚Quartiers‘ zu.

Die westfälischen Städte zeigten im 15. Jahrhundert zunächst wenig Interesse an einer engeren Organisationsstruktur unter der Führung der wendischen Städte. Dies könnte unter anderem damit zusammenhängen, dass in Westfalen im Vergleich zu anderen Gebieten das System der ‚Kaufmannshanse‘ deutlich länger etabliert gewesen ist. Dies macht auch die organisatorische Struktur und damit die Rolle einzelner Akteure unübersichtlich. Neben den genannten hansischen Vororten, welche in den Quellen auch als hovetstede bezeichnet sind, gibt es eine Vielzahl von untergeordneten “Beistädten”, wie sie von Luise von Winterfeld in ihren viel diskutieren Forschungen über das ‚westfälische Hansequartier‘ bezeichnet werden, denen die Vororte jeweils vorstanden. Diese Einteilung geht möglicherweise auf territoriale Eigenheiten zurück. Hinzu kommen in diesem Schema noch die den Beistädten ‚zugewandten Orte‘ – Städte dritter Ordnung. Schnell wurde jedoch deutlich, dass dieses Konstrukt des 19. Jahrhunderts, welches die hansische Forschung von Beginn an prägte, zu statisch angelegt war. Das lässt sich auch daran erkennen, dass es im Nachhinein teilweise notwendig wurde, Städte, die sich der Systematik entzogen, in eine vierte Ordnung einzupassen. Darüber hinaus muss man innerhalb der Städtegruppen berücksichtigen, dass dieses System nicht ausschließlich auf hansischen Strukturen basiert, sondern die erwähnten unterschiedlichen Städtebündnisse, die sich unabhängig von territorialen Grenzen bildeten, miteinschließt, sodass die Grenzen zwischen den Gruppen verschwimmen.

2. Kleine Städte in Pommern und die Hanse

Die entsprechende Analyse der Situation in Pommern förderte annähernd die gleichen Aspekte zutage wie das Beispiel Westfalen und unterstrich damit zugleich deren Bedeutung. Bei der vorrangigen Betrachtung der Fallbeispiele Stargard, Demmin und Anklam rückte anhand vieler Konflikte etwa über Stapelrechte zudem die Frage in den Mittelpunkt, ob man überhaupt immer von einer Freiwilligkeit der Hansemitgliedschaft ausgehen könne.

3. Fallbeispiel: Bocholt und die Hanse

Bocholt, gelegen im Westmünsterland, kann in vielerlei Hinsicht als typische ‚kleine Stadt in der Hanse‘ gelten. Die ‚ansehnliche Kleinstadt‘ ist wirtschaftlich zwischen einer Ackerbürgerstadt und einer sich selbst genügenden Gewerbe- und Handelsstadt anzusiedeln. Ihr überschaubarer Handel orientierte sich an einem größeren zusammenhängenden Wirtschaftsraum in drei Richtungen: in den Osten nach Münster, in den Westen an die Ijssel vor allem nach Deventer und im Süden nach Köln.

Bocholt taucht in den üblichen Quellen zur Hansegeschichte zunächst kaum bis gar nicht auf. Bis zum Ende des Mittelalters beschränken sich die Nennungen auf Einzelpersonen, die eine Rolle in Hansestädten des Ostseeraums und den Kontoren gespielt haben. Die typischen Probleme im Umgang mit ortsbezogenen Namen erschweren hierbei die Schärfung des Bildes zusätzlich. Bezeichnenderweise wird Bocholt, wie viele kleine Städte, erst im Rahmen von Konflikten wirklich als Hansestadt sichtbar. Der Startschuss fällt dabei im Jahr 1470, in dem Bocholt in das Vertretungssystem der Hanse einbezogen und entsprechend zur Kasse gebeten wird. Besonders ins Auge fällt die Rolle der Stadt als ‚Vorreiterin‘ in den Austrittsbemühungen und -konflikten mehrerer Städte um Coesfeld in den 1570er- und 1580er-Jahren. Anhand dieser Konflikte kann man einige Rückschlüsse bezüglich der Frage ziehen, welcher Art und von welcher Qualität die Verbindungen Bocholts zur Hanse waren.

Der Befund ergibt vor allem Widersprüche: Der Bitte um die Durchsetzung der Privilegienpartizipation etwa in Amsterdam steht die angeprangerte Nutzlosigkeit der Hanse entgegen; der Austritt und die wiederholte Bestätigung desselben werden durch kontinuierliche Beitragszahlungen an die Hanse und die Ansprache als Hansestadt kontrastiert.

Es zeichnet sich dabei ein Bild ab, welches die Gesamtdiskussion um das Etikett ‚Hansestadt‘ gut abbildet. Situativ opportunistisches Verhalten kennzeichnet das schon als Lavieren zu bezeichnende Verhalten Bocholts im Umgang mit seinen Prinzipalstädten. Aus Sicht der Prinzipalstadt Münster scheinen finanzielle Aspekte im Vordergrund zu stehen, da die Vertretung der untergeordneten Städte eine Kostenreduktion verspricht. Die Sicht von unten erscheint weniger klar. Hier zeigt sich – wie schon in Westfalen – die Bedeutung der regionalen Bünde, deren Strukturen sich nicht von den genuin hansischen trennen lassen. Fraglich bleibt, welche weiterführenden Funktionen das hansische neben dem regionalen Netzwerk erfüllen konnte. Politische und finanzielle Verpflichtungen gegenüber den umliegenden Städten lassen sich ohne Forschung in den Archiven genauso wenig abschätzen wie externe Einflüsse etwa durch den Achtzigjährigen Krieg.

Es bleibt neben den erwähnten Befunden vor allem der Eindruck, es eher mit einer ‚top-down Hanse‘ denn mit Partizipationsbestrebungen von unten zu tun zu haben. Die Untersuchung hat zudem deutlich gemacht, dass zum einen umfassendes Knowhow zur Regionalgeschichte zwingend notwendig ist, um die situativen Elemente fassen zu können, zum anderen vor allem Strukturvergleiche mit anderen Regionen und Städten erfolgen müssen, um zu mehr als exemplarischen Befunden zu gelangen.

Aus den unterschiedlichen Regionen und dem Fallbeispiel wird ersichtlich, dass man es im 15. Jahrhundert nach hansischem Verständnis mit mindestens zwei verschiedenen Kategorien von ‚Hansestädten‘ zu tun hatte: Zum Einen den (großen) Städte, die regelmäßig auf hansischen Tagfahrten vertreten waren und zum Anderen den (kleinen) Städten, die nicht selbst an den Tagfahrten teilnahmen, sich möglicherweise durch erstere vertreten ließen und sich dafür an deren Unkosten beteiligten.

Aus dieser Problematik, die seit Anfang des 15. Jahrhunderts besteht und eine Art Reorganisation der hansischen Ordnung durch die führenden Städte wie Lübeck darstellt, ergibt sich dann später auch die Einteilung in die hansischen Quartiere. Daraus geht allerdings nicht hervor wie viele ‚kleine‘ Städte es letztendlich in der hansischen Gemeinschaft gegeben hat und welche Rolle diese eigentlichen darin spielten. In den bisherigen Forschungen geht man von 180 bis 200 kleineren und größeren Städten innerhalb dieser Gemeinschaft aus. Aufgrund dessen darf man gerade diese Städte nicht unterschätzen und deshalb gilt es auch zukünftig hier gemäß dem Thema einmal neu zu überlegen.

Konferenzübersicht:

Maartje A. B. (Nijmegen): Communication between Hanseatic Cities

Max-Quentin Bischoff (Mannheim): Legate an das Dienstpersonal in den Lübecker Bürgertestamenten 1400-1449

Tobias Boestad (Paris / Stockholm): Das Gästerecht. Die fremden Kaufleute im Recht und in der Gerechtigkeit der Städte des Ostseeraums

Stefan Brenner (Kiel): Dithmarschen und die Hanse

Alex Collin (Cambridge): Decision Making Under Conditions of Non-Knowledge in Late- and Post-Hanseatic Cities 1557-1669.

Sarah Jacob (Leipzig): Akteure der Handelsbeziehungen zwischen Riga/Reval und Novgorod (14./15. Jahrhundert)

Piotr Kołodziejczak (Torun): Religious Foundations in the Kingdom of Sweden until the Second Half of the 14th Century

Priit Lätti (Tallin): Untersuchungen zum Schiffswrack von Kadriorg

Juliane Müller (Uni Rostock): Die hanseatische Gemeinschaft im 17. Jahrhundert

Ludwig Pelzl (Lund): Finanzmärkte und kommerzielle Altersvorsorge in Hansestädten

Maria Seier (Lübeck): Kaiserferner Norden? Die Beziehungen der Hanse zu Kaiser und Reich

Luisa Radohs (Aarhus) - The Formation of Power Structures in Medieval Towns – An Investigation of Urban Nobility and the Rise of Civic Elites in the Southwestern Baltic (12th–14th centuries)

Sven Zulauf (Kassel): Danzig und der hansische Holzhandel mit Westeuropa im 15. Jahrhundert

Impulsvortrag
Carsten Jahnke (Kopenhagen): Hansisch oder nicht hansisch? Die kleinen und die großen Hansestädte